Der Cost Interfaith Council of Clerics arbeitet zur Prävention von Gewalt sowie für sozialen Zusammenhalt und Entwicklung.
Wir werden von Bischof Amos Lewa begrüßt. Mit etwa 20 Führern von Religionsgemeinschaften sitzen wir in einem Konferenzraum in Malindi, einer Küstenstadt drei Autostunden nördlich von Mombasa. Kirchenführer, Imame und Kayas – Geistliche der afrikanischen traditionellen Religion – sind zu einer Versammlung zusammengekommen. Amos Lewa ist Bischof der Joy Fellowship Ministries, einer Pfingstkirche und Vorsitzender des Cost Interfaith Council of Clerics Trust (CICC). Dann werden wir gebeten, uns vorzustellen.
Zusammen mit zwei Mitgliedern des Deutschen Bundestages, Heribert Hirte (CDU) und Karl-Heinz Brunner (SPD) sowie einem Referenten des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) bin ich auf „Exposure“ an der kenianischen Küste. Wir sind Teil einer insgesamt 19-köpfigen Delegation, der vier Parlamentarier, zwei Vertreter des BMZ, der Geschäftsführer von Islamic Relief Deutschland, ein Erzbischof und leitende Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus dem kirchlichen Raum angehören. Für vier Tage hat sich unsere Delegation zur „Exposure“ in verschiedenen Regionen aufgeteilt. Organisiert wurde diese Dialog- und Lernreise zum Thema „Religionen als Partner für Frieden, Sicherheit und Entwicklung?“ im Februar 2020 von dem Verein Exposure- und Dialogprogramme in Kooperation mit dem katholischen Personaldienst AGIAMONDO.
Nun also der CICC. Ein ungewöhnlicher inter- und intrareligiöser Zusammenschluss. Neben Bischof Lewa sitzen ein Sheikh und ein Kaya, die beiden Ko-Vorsitzenden in der Region. Lewa berichtet: Ausgangspunkt für die Entstehung des CICC war die politische und extremistische Gewalt in der Küstenregion im Jahr 1997. Ein loses Netzwerk wurde gebildet, mit dem akute politische Gewalt bearbeitet und überwunden werden sollte. Schließlich hatten Religionsführer CICC gegründet, um durch Dialog und ganz konkrete Hilfen und Projekte zu einem friedlichen Zusammenleben beizutragen. Als Folge des 11. Septembers 2001 nahmen die Konflikte in der Region wieder zu und CICC wurde im Jahr 2005 als Trust etabliert. In den folgenden Jahren hat sich die Organisation nicht nur als ein umfassendes Dialogforum der Religionen, sondern auch als eine engagierte Nichtregierungsorganisation mit 23 Hauptamtlichen entwickelt, die unterschiedlichste Projekte und Initiativen durchführt.
Dem CICC-Trust gehören gleichberechtigt acht Mitglieder an: African Traditional Religions, Catholic Church, Council of Imams and Preachers of Kenya, Evangelical Alliance of Kenya, Hindu Council of Kenya, National Council of Churches in Kenya, Organization of African Instituted Churches und Supreme Council of Kenya Muslims. Jede Gruppe entsendet zwei Vertreter in den Vorstand.
Die Küste Kenias ist eine in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung vernachlässigte Region. Die zumeist kleinbäuerliche Landwirtschaft ist wenig produktiv und wird durch den Klimawandel noch weiter belastet. Die Jugendarbeitslosigkeit ist extrem hoch. Als Folge der Intervention des kenianischen Militärs in Somalia im Jahr 2011 gibt es immer wieder bewaffnete Überfälle und Entführungen der Al-shabaab aus Somalia. Arbeitslose Jugendliche werden von Al-shabaab als Kämpfer rekrutiert. Vor diesem Hintergrund ist ein Ziel der Arbeit von CICC, die ökonomische Marginalisierung zu mindern und die Ernährungssicherheit zu stärken durch „faith-centered enviroment stewardship“. Hier, wie auch bei dem Ziel eine harmonische und friedliche Koexistenz in und zwischen den Gemeinden zu stärken, sind interreligiöser Dialog und glaubensbasierte Ansätze von zentraler Bedeutung. Religiöse Führer haben eine Schlüsselrolle inne.
Wie genau das funktioniert, können Heribert Hirte und ich bei unserer Gastgeberin Lynette Shaha und ihrem Ehemann Moses in der Küstenstadt Kilifi beobachten. Auf unbefestigten Wegen durch das Labyrinth des wuseligen alten Zentrums erreichen wir ihr kleines Wohnhaus. Bei starkem Regen dürfte hier alles im Schlamm versinken. Lynette ist eine ausgebildete Evangelistin der Anglikanischen Kirche und in unterschiedlichsten Funktionen als Gemeinwesensarbeiterin und Aktivistin ehrenamtlich für CICC aktiv.
Wir rumpeln in einem Tuk Tuk über die Asphaltstraße zu den Bahari Women Saccos am Stadtrand von Kilifi. Saccos sind Kleinkredit-Iinitiativen, Lynette ist die Vorsitzende der Bahari Women. Von den 16 Frauen, die sich unter einem Baum versammelt haben, sind gut ein Drittel Muslimas. Die Initiative hat rund 200 Mitglieder. Bei den anwesenden Frauen handelt es sich um Multiplikatorinnen, die an einer Fortbildung vom Dachverband der Spar- und Kreditkooperativen in Kenia teilnehmen. Die Referentin erläutert technische und rechtliche Fragen. Und sie spricht das Thema Advocacy und die Nutzung von Social Media per Mobiltelefon an. Die Organisation bietet den Saccos sogar eine Versicherung für Kreditausfälle an. Fast alle Frauen in der Runde betreiben mehr oder weniger erfolgreich auch eigene kleine Geschäfte. Sie berichten uns von Kosmetikstudios, der Produktion von Süßigkeiten aus Baobab-Samen, von Kokosöl-Produktion und sogar von der Herstellung und dem Verkauf von Steinen für den Hausbau.
Am nächsten Vormittag bringt uns ein Tuk Tuk nach Mnarani, rund fünf Kilometer südlich von Kilifi, in eine Pfingstkirche, die in Bischof Lewas Verantwortungsbereich liegt. Hier trifft sich eine Gruppe von CICC-Gemeinwesensarbeiterinnen, die ihre Aktivitäten für die nächsten sechs Monate planen wollen. Auch hier hat Lynette den Vorsitz und leitet die Runde mit großer Autorität und strenger Hand. Ich zähle neun Christinnen, sechs Muslimas und eine Anhängerin der traditionellen afrikanischen Religion. Eine Muslima spricht zur Eröffnung der Runde ein Gebet. In einem ersten Austausch wird mehrfach das Problem des Drogenmissbrauchs und der Radikalisierung von Jugendlichen angesprochen. „Wir müssen besser auf unsere Kinder aufpassen. Wir müssen uns mehr Zeit für sie nehmen und das auch unseren Männern klarmachen,“ sagt eine Frau. Häusliche Gewalt und Missbrauch sind ebenso ein Thema. „Nur wenn wir als Christen, Muslime und Angehörige der afrikanischen Religion zusammenarbeiten, können wir unsere Gemeinden stärken,“ betont eine Teilnehmerin. Viele von ihnen sind ohne Frage echte Führungspersönlichkeiten und strahlen eine unglaubliche Energie aus. Sie haben in dieser Runde einen Raum, in dem sie ungeschützt sprechen und einander stärken können.
Auch in einer Kleingruppe kommen die Themen häusliche Gewalt und Männer zur Sprache. Eine Frau wagt nach erstem Zögern die Aussage: „Die Männer sind doch auch das Problem. Daran müssen wir arbeiten.“ Zurück in der Großgruppe wird der Punkt nur vorsichtig angesprochen. Später am Abend, als wir mit Lynette unsere Beobachtungen reflektieren, finden wir eine differenziertere Formulierung: „Nicht die Religionen sind das Problem. Es sind zu einem Großteil die männlich dominierten Traditionen und Kulturen, die Probleme schaffen.“
Zurück nach Mnarani. Die Versammlung verständigt sich auf die Planung einer ganzen Reihe von konkreten Aktivitäten, zum Beispiel auf die Bildung und Stärkung von Frauen und Jugendlichen durch Theater oder Akrobatik. Noch gezielter sollen Mütter und Väter angesprochen werden. Mit Polizei und Sicherheitskräften soll der Dialog verstärkt werden. Und wie bei den Bahari Women: „Wir müssen Social Media besser verstehen und gezielter zu nutzen lernen.“ Auch in dieser Runde scheinen die meisten Frauen erfolgreich kleine Geschäfte zu betreiben. Die Versammlung wird mit dem Gebet einer Christin beendet, dann gibt es einen Imbiss.
Am Nachmittag besuchen wir Mumina Alaso Mohamed und ihre Frauengruppe in Kiwandani, einem besonders ärmlichen Ortsteil von Kilifi. Mumina war schon in der Runde am Vormittag dabei. Hier können wir uns davon überzeugen, dass sie in der Tat auch eine erfolgreiche Geschäftsfrau ist. Mit Hilfe von Kleinkrediten hat sie einen gut laufenden kleinen Laden aufgebaut. Die Plastikstühle, auf denen wir sitzen, vermietet sie für Hochzeiten und andere Familienfeiern. In der Frauengruppe wird vor allem über häusliche Gewalt und über die Vernachlässigung von Kindern gesprochen. Bei bestimmten Anliegen kann die Gemeinwesensarbeiterin auch auf Beratungsmöglichkeiten von CICC hinweisen. Mumina unterstützt die Frauen in ihrer Nachbarschaft noch auf andere Weise. Sie holt eine Kladde hervor, erhält von den Frauen kleine Geldbeträge und trägt jeden Betrag sorgfältig in eine Liste ein. Die Frauen wollen vermeiden, dass ihre Männer das Geld für Alkohol oder Anderes ausgeben und wollen gleichzeitig für nötige Anschaffungen sparen. In der Bank, die Mumina für ihren eigenen Laden nutzt, wissen sie ihr Geld in Sicherheit.
Am Sonntag fahren Lynette und Moses mit uns in einem geliehenen Auto auf einer sehr schlechten Sandpiste in ihre Dorfgemeinde. Der anglikanische Gottesdienst wird von Lynette geleitet. Noch in der Nacht davor hat sie für uns die Inhalte ihrer Predigt auf Englisch aufgeschrieben und in aller Frühe in einem Copyshop ausgedruckt, weil sie keinen eigenen Drucker hat. So können wir dem Gottesdienst und ihrer Predigt auch ohne Übersetzung folgen. Es ist beeindruckend, mit welcher Energie Lynette arbeitet, sich für ihre Frauengruppen einsetzt und nebenbei auch noch für Moses und uns kocht. Die Tochter, die mit den Enkelkindern in der Nachbarschaft wohnt, wird auch von ihr unterstützt. Jeder Tag beginnt und endet für sie und uns mit einer Andacht im Wohnzimmer, in dem wir auch die Mahlzeiten einnehmen.
Es sind viele solcher tief religiösen und starken Führungspersönlichkeiten, die die Arbeit von CICC tragen und prägen. Einerseits arbeitet CICC explizit auf einer intra- und interreligiösen Ebene. Mit Religionsführern – zumeist Männer, die in der Regel noch keine 40 Jahre alt sind – diskutieren CICC-Vertreter Zitate aus Bibel und Koran, die anderswo immer wieder zur Abwertung anderer Religionen und zur Legitimation von Gewalt herangezogen werden. Auch ethnische Konflikte werden von den Multiplikatoren thematisiert.
Dass CICC dabei große Erfolge erzielt hat, liegt an dem über Jahre hinweg auf lokaler und regionaler Ebene gewachsenen Netz von Geistlichen und ungezählten Ehrenamtlichen. Vertrauen konnte auf- und Vorurteile konnten abgebaut werden. Die Akteure bedienen sich intensiv WhatsApp-Gruppen, Facebook, Twitter oder der CICC-Website. So werden lokale Identitäten gestärkt und ein Bonding ermöglicht. Menschen können über die religiösen Strukturen erreicht und mobilisiert werden. Andererseits liegt die Stärke von CICC in der praktischen Zusammenarbeit in sozialen und Entwicklungsprojekten. Konkrete Missstände und Probleme können angepackt werden. In landwirtschaftlichen Projekten werden Bauern bei der Anpassung an den Klimawandel oder bei der Vermarktung ihrer Erzeugnisse unterstützt. Frauen werden gezielt gefördert. Nachbarschaftsgruppen werden begleitet. Für arbeitslose Jugendliche werden Programme angeboten.
CICC ist in Kontakt mit lokalen Polizei- und Sicherheitskräften und kann, wenn es sein muss, deren Fehlverhalten ansprechen. Es gibt Zusammenarbeit und Austausch mit anderen Nichtregierungsorganisationen. Auch internationale Geldgeber oder die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) sind auf die Arbeit von CICC aufmerksam geworden. Zur nationalen und internationalen Vernetzung unterhält CICC ein Büro in der Hauptstadt Nairobi. Nicht zuletzt wird CICC von einer AGIOMONDO-Fachkraft aus dem Programm des deutschen Zivilen Friedensdienst (ZFD) unterstützt, die in Mombasa arbeitet.
Zurück zu der eingangs genannten Versammlung der Religionsführer in Malindi. Ich konnte es kaum glauben, dass in dieser Runde Katholiken, Muslime, Anglikaner, Evangelikale, Pfingstler und traditionelle afrikanische Religionsführer, Kayas, gleichberechtigt und mit Erfolg zusammenarbeiten. Tatsächlich gab es in der Gründungsphase von CICC erhebliche Widerstände gegen die Beteiligung der Kayas. Sicher war viel Zeit und Geduld nötig, um unter allen Beteiligten Misstrauen, Vorurteile und Widerstände auszuräumen. Auf unsere Nachfrage erfuhren wir, dass es in den Religionen und Konfessionen weiterhin auch „Hardliner“ gibt, die sich einer Zusammenarbeit entziehen. Gleichwohl: Das gewachsene Vertrauen und das Netz, das mit und durch CICC aufgebaut wurde, ist beeindruckend. Und vielleicht gelingt es CICC ja auch, in Fragen der Geschlechtergerechtigkeit noch weiterzukommen.
Gerade in einem Landesteil, in dem staatliche Infrastruktur schwach oder kaum vorhanden ist, wurden mit der Autorität von Geistlichen aller lokalen Religionen zivilgesellschaftliche Strukturen gestärkt. Extremistische Gewalt konnte zwar nicht vollständig verhindert, aber doch stark eingedämmt werden. Und über diese Infrastruktur konnten und können Entwicklungsprogramme besonders wirksam und nachhaltig umgesetzt werden. Zur Zeit unseres Besuchs hatte Covid-19 die Region erkennbar noch nicht erreicht. Wie auch immer sich die Pandemie in Kenia weiter ausbreiten sollte, die gewachsenen Strukturen von CICC dürften bei der Bekämpfung des Corona-Virus eine zentrale Rolle spielen und sehr hilfreich sein.
8. April 2020 – Tim Kuschnerus
Alle Fotos von Tim Kuschnerus